Kundgebung

Auftaktkundgebung „30. Januar 1933 – Erinnern heißt antifaschistisch handeln!“
30. Januar 2023 | 18 Uhr | Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor

Redner*innen:
Bernd Langer (Kunst und Kampf)
Chaja Charlotte Boebel (IG Metall)
Tom Erdmann (Landesvorsitzender Berliner GEW)
Florian Gutsche (Bundesvorsitzender VVN-BdA)

Musikalische Begleitung: Ernst-Busch-Chor

Am 30. Januar 1933, vor 90 Jahren, wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Es war keine Machtergreifung; politische Macht wurde den Nazis übergeben.
Unverzüglich begannen sie systematisch umzusetzen, was sie vorher postuliert und schon beispielhaft erprobt hatten: Die Zerschlagung der Arbeiterbewegung, die Abschaffung aller demokratischen Rechte, die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung und die Vorbereitung eines neuen Weltkrieges.
Am Brandenburger Tor, dem Ort, an dem die Nazis diese Machtübertragung 1933 mit einem pompösen Fackelzug feierten, gedenken wir am 30. Januar 2023 des frühen antifaschistischen Widerstandes gegen das NS-Regime und erinnern an die Opfer des Terrors.

Wenn wir heute auf aktuelle besorgniserregende Tendenzen von rechts hinweisen, wird die Aktualität dieses Tages klar.
Die Forderung des Schwurs von Buchenwald „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“ ist noch nicht erfüllt.

Antifaschistisches Handeln ist auch heute unentbehrlich.
Erinnern heißt antifaschistisch handeln!

Redebeiträge auf der Kundgebung

90 Jahre Machtübertragung – Bedeutung für die Gewerkschaften

Wir erinnern heute an die Machtübertragung an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Heute vor 90 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.

In den darauffolgenden Wochen wurden die demokratischen Strukturen der Weimarer Republik in Windeseile zerschlagen. In nur wenigen Monaten vollzog sich der Wandel zur nationalsozialistischen Diktatur.

Mit Straßenterror, Verfolgung und Inhaftierungen gingen die Nazis überall im Land gegen politische Gegner*innen, gegen Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen vor.

Noch vor den Parteien wurden am 02. Mai 1933 die freien Gewerkschaften zerschlagen. Viele Gewerkschafter*innen wurden verfolgt, verhaftet und gefoltert, nicht wenige ermordet.

Aus diesem Grund gehört der Antifaschismus bis heute zum Selbstverständnis des DGB und seiner Einzelgewerkschaften. Und deshalb ist heute nicht nur ein Tag des Gedenkens an die Schrecken des Nationalsozialismus. Wir erinnern uns auch an den Gründungsgedanken der Gewerkschaften und sehen seine aktuelle Bedeutung.

Demokratie und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeiten. Die Geschichte hat uns gezeigt, wie schnell diese Errungenschaften abgeschafft und durch Terror und Diktatur ersetzt werden können.

Die Entwicklungen der Weimarer Republik lassen sich nicht unmittelbar auf die heutige Zeit übertragen. Aber wir sind auch heute in einer Situation, in der Demokratien zunehmend unter Druck geraten. Wir erleben das Erstarken rechter Parteien und Ideologien in einem Ausmaß, das den meisten von uns noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren unvorstellbar erschienen wäre.

„Wehret den Anfängen“ ist schon lange vorbei. Wir sind mitten drin im Kampf gegen Diskriminierung, gegen Hass und Hetze, gegen rechte Gewalt und gegen Ausbreitung rechter Parteien und Überzeugungen in den Parlamenten. Die AfD ist mittlerweile in allen Landesparlamenten und im Bundestag vertreten. Bei der letzten Bundestagswahl ging sie in Sachsen und Thüringen als stärkste Kraft hervor, ein Trend, der sich in Ostdeutschland ausbreitet und konsolidiert.

Viel zu lang, wurde diese Entwicklung verharmlost. Viel zu lang wurden die zunehmenden Erfolge der AfD zu „Protestwahlen“ erklärt. Es gibt aber keine Protestwahl. Es gibt nur eine Wahl. Aus Wahlnachbefragungen wissen wir, dass die Mehrheit der AfD-Wähler*innen die Partei aus Überzeugung und nicht aus Enttäuschung wählt. Anders gesagt: Die AfD wird nicht trotz ihrer Inhalte gewählt, sondern wegen ihrer Inhalte.

Linke und antifaschistische Gruppen und Organisationen weisen schon seit vielen Jahren auf die massive Gefahr von rechts hin. Wir verdanken diesen Gruppen sehr viel Wissen über die rechte Szene und sie leisten einen sehr wesentlichen Beitrag zum zivilgesellschaftlichen Engagement gegen rechts!

In Politik und Öffentlichkeit wird die Gefahr, die von rechts ausgeht, dagegen nur zögerlich anerkannt. Einfacher scheint es zu sein, antifaschistische Arbeit zu diskreditieren, unter Verdacht zu stellen und zu kriminalisieren. Der vor einiger Zeit unternommene Versuch, der VVN die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, ist nur eins von zahllosen Beispielen.

Wir erleben, dass die Verteidigung demokratischer Prinzipien und das Eintreten für eine offene und vielfältige Gesellschaft zu einer täglichen Aufgabe geworden ist.

Diejenigen, die öffentlich laut und wahrnehmbar ihre Stimme für Demokratie und Menschenrechte, für Feminismus, Antifaschismus und gegen Diskriminierung erheben, sind häufig massivem Druck ausgesetzt. Das gilt insbesondere für Frauen, die sich öffentlich engagieren. Der Kampf gegen rechts kann nur solidarisch und gemeinsam gelingen. Dafür setzen wir uns mit aller Entschlossenheit ein!

Dem Bildungsbereich kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Hier finden Demokratiebildung und die Auseinandersetzung mit der Geschichte statt. Paragraph 1 des Berliner Schulgesetzes verpflichtet uns: „Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus entschieden entgegenzutreten (…)“ Das ist unser Bildungsauftrag als Pädagog*innen.

Und genau aus diesem Grund sind Schule und Bildung auch besonders im Fokus der Rechten. Mit Vorliebe arbeiten sich AfD und rechte Netzwerke an schul- und bildungspolitischen Themen ab. Sie wollen dabei gezielt auf Unterrichtsinhalte aber auch auf die Struktur des Bildungswesens Einfluss nehmen. 

Wir erinnern uns an Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit:

  • Vor wenigen Jahren versuchte die AfD, Lehrkräfte durch die Einrichtung von Meldeportalen bundesweit einzuschüchtern. Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen wurden zur Denunziation von Lehrkräften aufgerufen. Unter dem Deckmantel der Neutralität sollte eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD und ihrer Ideologie unterbunden werden. Neutralität ist aber nicht gleichbedeutend mit Werteneutralität. Die Indienstnahme vermeintlicher Neutralität zum Schutz diskriminierender Positionen hat mittlerweile Schule gemacht. Lassen wir uns von diesem Scheinargument nicht lähmen! Rassist*innen und Faschist*innen haben keinen Anspruch auf unsere Neutralität!
  • Immer wieder hetzen AfD und befreundete Netzwerke gegen die Thematisierung von Geschlechtergerechtigkeit und die Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Unterricht. Besonders eindrücklich war die Auseinandersetzung um die Reform der baden-württembergischen Bildungspläne vor einigen Jahren. Keine Behauptung ist den Gegner*innen einer aufgeklärten Bildung zu abstrus. Mit moralischer Entrüstung wird auf Pappkameraden wie „Frühsexualisierung“ und „Pornographie-Unterricht“ eingedroschen. Was anmutet wie ein schlechter Scherz schließt leider an einen sehr wirkmächtigen gesellschaftlichen Diskurs an. Antifeminismus, Homophobie und Transfeindlichkeit sind tragfähige Brücken von der sogenannten Mitte der Gesellschaft bis in rechtsextreme Milieus. Deshalb müssen wir den Kampf gegen rechts auch als einen feministischen Kampf führen.

Das aktive Eintreten gegen rechts hat für uns als Bildungsgewerkschaft im DGB also eine besondere Bedeutung. Wir sind in Bündnissen und Netzwerken aktiv.

Wir bieten Schulungen und Seminare an. Wir unterstützen und stärken unsere Kolleg*innen in den Auseinandersetzungen vor Ort. Und wir engagieren uns auf allen Ebenen für ein Bildungssystem, das den autoritären Vorstellungen der AfD diametral entgegensteht!

Gegen Hass und rechte Hetze – für eine offene und vielfältige Gesellschaft!

Tom Erdmann, Vorsitzender der GEW Berlin

Rede am Brandenburger Tor, 30.  Janauar 2023

Die Ereignisse des 30. Januar 1933 und alles, was darauf folgte, sind bekannt und wurden hier auch bereits referiert. Entscheidend für uns, Gewerkschafter:innen und Antifaschist:innen, ist aber die Frage, warum wir wie darüber sprechen

Wollen wir Heldengeschichte hören, uns in ihnen, also im Handeln der Generationen vor uns, sonnen, oder möchten wir ein Angebot, um aus dieser Vergangenheit zu lernen?

Letztlich bedarf es der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, um daraus Schlüsse für eigenes Handeln in der Gegenwart zu ziehen.

Hitler wird am 30. Januar Reichskanzler, die Zerschlagung der Gewerkschaften erfolgt drei Monate später. Danach gab es keine Gewerkschaften mehr, sondern nur noch Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter; in Haft, im Exil, vom Tode bedroht, mit unterschiedlichen Haltungen in der DAF, im Widerstand oder als Zuschauer.

Für uns und unsere Auseinandersetzung heute ist entscheidend, was in den drei Monaten dazwischen geschah, wie die noch bestehenden Gewerkschaften dem Handeln der Nazis begegnet sind, in einer Zeit, in der der Gewalt und Repression zunahmen, aber die Organisationen noch existierten.

Es gab sehr schnell erste Verhaftungen, SA und NSBO stürmten Betriebsratsbüros, Arbeiterzeitungen wurden verboten, die ADGB-Bundesschule in Bernau besetzt, Angriffe auf Gewerkschaftshäuser häuften sich.

Für die NSDAP waren linke, demokratische Organisationen der gesellschaftliche Hauptfeind, da sie damit rechnen mussten, von dieser Seite aus Gegenwind und Widerstand zu erleben. Die deutsche Arbeiterbewegung galt damals als die am besten organisierte der Welt, der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920 hatte gezeigt, wozu sie fähig war.

Gleichzeitig waren sich die Nazis aber dessen bewusst, dass sie nicht die Gewerkschaften als Massenorganisationen, wohl aber die Arbeiter:innen für sich gewinnen wollten, um somit in die Gesellschaft hinein zu wirken.

Was reagierten die Gewerkschaften auf die Situation, dass Hitler Reichskanzler war und bereits vor den Wahlen am 5. März der Straßenterror zunahm?

Direkt nach der Machtübertragung tagte der Bundesausschuss des ADGB und verfasste ein Flugblatt mit folgendem Aufruf:

„Die Lebensinteressen der gesamten Arbeiternehmerschaft stehen auf dem Spiel. Um Angriffe gegen Verfassung und Volksrechte im Ernstfall wirksam abzuwehren, ist kühles Blut und Besonnenheit erstes Gebot. Lasst Euch nicht zu voreiligen und darum schädlichen Einzelaktionen verleiten.“

Aufrufe zu Ruhe und Ordnung, gepaart mit der Annahme, dass niemand den Geist und die Stärke der Gewerkschaften brechen könne, ziehen sich bis Ende April durch Publikationen und Veröffentlichungen.

„Organisation statt Demonstration“ ist das Schlagwort.

Theodor Leiphart, der ADGB-Vorsitzende, schreibt im Vertrauen auf Recht und Ordnung mehrere Briefe an den Reichspräsidenten, zählt jeweils bis zu 36 Städte auf, in denen Verwaltungsgebäude besetzt und zum Teil zerstört wurde, vermutet Unwissen als Ursache dafür, dass niemand eingreift und bittet höflich darum, Recht und Gesetz in Deutschland wieder zur Geltung zu bringen.

Trotz aller Angriffe scheinen sich nur die wenigsten ein Verbot wirklich vorstellen zu können

Stattdessen gibt es eine Bereichtschaft, durch Anpassungsversuche die eigene Existenz zu bewahren.

Im Leitartikel der Zeitung „Gewerkschaft“ vom 18. März liest sich das folgendermaßen:

„Gleichviel, wie die Regierungen auch heißen und zusammengesetzt sein mögen, zur Wahrung der Arbeitnehmerrechte brauchen wir die gewerkschaftlichen Organisationen.“

Nur wenigen ist die Bedeutung dessen, was in diesen Wochen geschieht, wirklich bewusst. Einer davon ist Siegfried Aufhäuser, Vorsitzender des AfA-Bundes, der gleich zwei Feindbildern der Nazis entspricht und somit ihren Hass auf sich zieht. Er ist Gewerkschafter – und er ist Jude, und damit den Angriffen in doppelter Hinsicht ausgesetzt.

Er tritt vom Vorsitz zurück, weil er den Anpassungskurs ablehnt und als Jude kein doppeltes Angriffsziel für den AfA-Bund darstellen will.

Der Antisemitismus war einer der ideologischen Kerne der Nationalsozialsten, der in der Bevölkerung ausreichend Widerhall fand, so dass man damit bereits vorhandene Ressentiments und Vorurteile aufgreifen und für die eigenen Zwecke nutzen konnte. Die Emanzipation der deutschen Jüdinnen und Juden war auch ein Ergebnis der Revolution und eine der Errungenschaften der Weimarer Republik. Damit war der Antisemitismus nicht besiegt worden, nach wie vor war er ein Teil der Gesellschaft, aber in der Republik nicht Teil der Politik der Regierung. Das änderte sich mit der Machtübertragung der Nazis grundlegend und führe über Ausgrenzung und Verfolgung bis hin zur Vernichtung.

Wir werden uns in diesem Jahr auch an andere Ereignisse erinnern (Pogromnacht)

Dass Aufhäuser – und mit ihm andere jüdische Hauptamtliche – sich resigniert zurückzogen zeigt deutlich, dass mit einem solidarischen Kampf für die deutschen Jüdinnen und Juden auch innerhalb der Gewerkschaften, die damit auch ein Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft waren, nicht zu rechnen war. Noch bevor Institutionen gezwungen wurden, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen, kam es so zu einer Art Selbstarisierung. Und mit jedem weiteren Schritt aus der Mehrheitsgesellschaft hinaus wurden Jüdinnen und Juden mehr auf sich selbst gestellt und konnten sich nicht auf gesellschaftliche Unterstützung verlassen.

Mit der Ankündigung, dass die Nazis den 1. Mai zu einem gesetzlichen Feiertag machen wollten, sahen die Gewerkschaften ihr Ziel, die Bewahrung der Organisation trotz veränderter politischer Rahmenbedingungen zum denkmöglichst Schlechteren, erreicht und riefen zur Teilnahme an den Kundgebungen und Demonstrationen auf.

Der Aufruf liest sich heute wie ein Nachweis gebrochenen Rückens. Sprachlich stark an den Ungeist der Zeit angepasst, statt „Klasse“ wird von „Stand“ gesprochen, und die Häufigkeit des Begriffes „deutsch“ ist fast nicht zu zählen.

Dessen ungeachtet war der 2. Mai von Seiten der Faschisten bereits lange im Voraus geplant: morgens stürmte die SA die Gewerkschaftshäuser, die Vorsitzenden aller freien Gewerkschaften wurden verhaftet, die Organisationen zerschlagen.

Der Rest ist bekannt.

Wenn wir uns heute mit diesen drei Monaten kritisch auseinander setzen, so geht es nicht darum, sich über die Kolleginnen und Kollegen von damals zu erheben, sondern ihre Intentionen sehr genau zu analysieren und zu begreifen, wie gefährlich diese Organisationspolitik 1933 war.

Viele Gewerkschafter gingen in den Widerstand, auch diejenigen, die sich im Februar und März noch an die Vorstellung der Anpassung geklammert hatten. Die Liste der Ermordeten ist lang. Wir zollen ihnen, von denen viele mit dem Leben bezahlt haben, großen Respekt. Gleichzeitig müssen wir den ambivalenten Blick auf diese Zeit bewahren und aushalten.

Wir haben uns als DGB-Gewerkschaften in Kenntnis dieser unserer Geschichte einen klaren gesellschaftspolitischen Auftrag gegeben, der in den Satzungen nachzulesen ist. Uns gibt es nur dann, wenn wir uns für eine demokratische Gesellschaft, gegen Unterdrückung und Ausgrenzung, gegen Rassismus und Antisemitismus aussprechen. Auch wir sind darauf angewiesen.

Dass man Betriebspolitik nur dann gestalten kann, wenn Demokratie herrscht – diese Erfahrung haben wir einmal gemacht und sollten alles dran setzen, eine Wiederholung zu vermeiden.

Chaja Bobel, IG Metall

90. Jahrestag der Machtübertragung an die Nationalsozialisten

Liebe Antifaschist*innen,

wir sind heute hier um, daran zu erinnern, dass vor 90 Jahren der Faschismus in Deutschland zur final in die Regierung und damit an die Macht geholfen wurde. Über den genauen Prozess möchte ich an dieser Stelle nicht referieren. Darüber hat Bernd Langer gerade gesprochen. Ich möchte dennoch zwei Punkte herausheben, die wir als Antifaschist*innen unbedingt berücksichtigen müssen, wenn es um den Umgang mit neofaschistischen Parteien und Organisationen geht.

1.) Der Faschismus konnte in Deutschland erst so wirkmächtig werden, weil er lange vor 1933 bereits im konservativ-bürgerliche Spektrum toleriert wurde, ja die NSDAP im wesentlichen als möglicher Kooperationspartner akzeptiert wurde.

2.) Nach der Machtübertragung vor genau 90 Jahren war es trotz aller Bemühungen zu spät für eine gemeinsame antifaschistische Front von Kommunist*innen, Sozialdemokraten, Gewerkschafter*innen, Humanist*innen und anderen. Haben faschistische Parteien einmal die Machtmittel des Staates in der Hand, werden sie diese auch rigoros einsetzen, um jedwede Opposition auszuschalten. Ist das geschehen, können Rassenwahn und Antisemitismus sich ungehindert Bahn brechen und die industrielle Vernichtung von Menschenleben kann erfolgen.

In der Konsequenz heißt das für Antifaschist*innen und Demokrat*innen, dass der Faschismus, bzw. faschistische Parteien unbedingt daran gehindert werden müssen die Machtmittel des Staates unter ihre Kontrolle zu bekommen. Oder, um es mit den Worten Erich Kästners zu sagen:

“Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.
Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen […] Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.”

Zieht man diesen Schluss, stellt sich die Frage, wie das zu bewerkstelligen ist? Was mich zu wichtigsten Lehre aus den Geschehnissen vor 1933 und danach bringt. Es muss eine klare Brandmauer gegen faschistische beziehungsweise neofaschistische Parteien geben. Das bedeutet, es darf keine Tolerierung oder gar Zusammenarbeit mit neofaschistischen Organisationen oder Parteien auf parlamentarischer oder außerparlamentarischer Ebene geben. Eine Normalisierung faschistischer Parteien ist unter keinen Umständen akzeptabel, selbst wenn es sich um Gremien handelt, welche eine Kooperation mit solchen Parteien qua Geschäftsordnung bzw. Funktionsweise angeblich unumgänglich machen. Damit das erfolgreich sein kann, bedarf es der Einigkeit aller Antifaschist*innen, egal welcher politischen Strömung sie sonst angehören.

Diese Erkenntnis wurde von den Überlebenden und Widerstandskämpfer*innen gegen das NS-Regime bitter erkauft.  Nach 1945prägte sie das politische Selbstverständnis derer , die der Verfolgung durch den deutschen Faschismus entgangen waren. Sie ist heute auch Grundlage des politischen Verständnisses der VVN-BdA. Sie ist praktisch unsere DNA.

Leider müssen wir feststellen, dass diese Überzeugung keine Selbstverständlichkeit ist. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern wurde die Brandmauer de facto eingerissen. Es gibt sich häufende Kooperationen mit der mindestens teil-faschistischen AfD. Das Bonmont der „erodieren Mitte“ greift hier sogar zu kurz, weil längst nicht nur die Teile der Gesellschaft, die sich einst durch Parteien wie CDU oder FDP vertreten fühlten, sondern sich auch Teile der Linken sich anfällig zeigen für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Der Effekt bleibt dabei immer der gleiche: Eine Normalisierung der AfD und damit des parlamentarischen Arms der organisierten, reaktionären, national-chauvinistischen, neofaschistischen Rechten. Nach der fatalen Teilübernahme der rassistischen Positionen der AfD durch die etablierten Parteien, insbesondere in der Migrationspolitik, ist das erneut ein Einknicken nach rechts auf breiter Front.

Gleichzeitig befindet sich die AfD in mehreren Bundesländern in einem Umfragehoch, die Gefahr, dass sie bei den 2023 und 2024 anstehenden Landtagswahlen in Sachen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stärkste Kraft wird ist real. Der AfD gelingt es zunehmend den in den sogenannten Mitte-Studien festgestellten Bevölkerungsteil mit rassistischen, antisemitischen und anti-demokratischen Einstellungsmustern vollständig anzusprechen. Wie sie das tut konnte man im letzten Jahr am 3. Oktober in Gera sehen, als Höcke für 10.000 Anhänger*innen seine Vorstellungen für Deutschland und die Welt zum besten gab.

Zudem sehen wir uns mit einem unglaublichen Revival allen Militärischen und damit patriarchal-nationalistischer Einstellungsmuster konfrontiert. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die von ihm ausgehende Erschütterung des Friedens in Europa – natürlich wissen wir, dass dieser Frieden auch in Europa nie zu 100% gegeben war, erinnert sei hier nur an die Kriege und die Beteiligung der NATO-Staaten im Zuge des jugoslawischen Zerfallsprozesses – hat eine, mindestens seit der Wiedervereinigung, ungekannte Welle der Aufrüstung losgetreten. Panzer sind wieder in Mode und ihre Spezifika werden beispielsweise im Fernsehen rauf und runter gebetet. Technik die begeistert… Doch schon vor dem Beginn der russischen Invasion hat die Präsenz des Militärischen in der Gesellschaft wieder zugenommen. Soldat*innen, die dank ihrer Uniformen kostenlos Bahnfahren dürfen sind nur ein Beispiel dafür, die dauerpräsente Bundeswehrwerbung auf Bussen und Bahnen unter anderem hier in Berlin ein anderes.

Der Bedeutungszuwachs militaristischer Logiken und vermeintlicher Lösungen auf dem gesamten Planeten ist beängstigend. Kriege fördern immer eine Kultur der Gewalt, und das weit über die Grenzen des Kriegs- oder Konfliktgebietes hinaus. Das beginnt bei der Rhetorik und mündet in Taten. Ebenso werden die durch Kriege verursachten Traumata über Generationen weitergegeben und Belasten ein friedliches Zusammenleben untereinander auf Jahrzehnte. Nicht nur Putin hat hier seinen schändlichen Teil beigetragen. Denn eine Analyse, die alles Geschehen lediglich einzelnen Personen zuschreibt, geht in der Regel an der Realität vorbei. Das gilt gegenwärtig auch für Aussagen wie »Putins Krieg«. Denn klar ist die russische Führung repräsentiert wirtschaftliche, politische und ideologische Interessen neuer und aufstrebender Eliten in einem kapitalistisch gewordenen Land. Frieden, Diplomatie und Völkerverständigung sind auch dort in der internationalen Diplomatie augenscheinlich zu Fremdwörtern geworden. Auf vielversprechende internationale Initiativen für eine friedliche Beilegung des Konflikts durch den „Westen“ oder Russland, such man jedenfalls vergebens.

In dieser Situation gerieren sich AfD, die Basis und andere als vermeintliche Parteien des Friedens und versuchen den berechtigten Wunsch nach Frieden in der Bevölkerung von Rechts zu besetzen. Ein Blick in die Programme dieser Gruppierungen zeigt jedoch, dass ihr Frieden nichts anderes heißt als „Nach unserem Sieg, nie wieder Krieg“. Sie bedient ein bis heute wirkmächtiges völkisch-rassistisches Denken, dass bis heute tief in den Köpfe vieler Deutscher sitzt. Einer der Gründe für die Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen von Feindbildern in unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens. Da bündeln sich allgemeine rassistisch-biologistische Behauptungen und pseudowissenschaftliche Untersuchungen durchaus auch mit Gefühlen des Bedrohtseins und friedensdemagogischen Politikbegründungen. Da wirkt nationalistisch-überheblicher Stolz mit blinder Wut, Vorurteilen, Klischees, Stereotypen. Im Verbund ruft alles Hass hervor. Dem gilt es zu begegnen.

Offensichtlich befinden wir uns heute, 90 Jahre nach der Machtübertragung und 78 Jahre nach der militärischen Niederlage des Faschismus in einer schwierigen Situation. Als Antifaschist:innen müssen wir deshalb umsomehr einen kühlen Kopf zu bewahren und konsequent sein. Das bedeutet Nazis zu bekämpfen, ihnen den öffentliche Raum nehmen und immer und überall da einzuschreiten, wo Neofaschisten toleriert oder gar hofiert werden. Egal in welchem Gewand die Neonazis sich gerade kleiden. Weiterhin müssen wir auch der Übernahme neofaschistischer Inhalte durch andere Parteien und damit der Normalisierung (neo-)faschistischer Politiken klar eine Absage erteilen.

In diesem Sinne: Es bleibt viel zu tun – packen wirs an! Kein Fußbreit den Rechten! Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!

Florian Gutsche, Vorsitzender der VVN-BdA