Die Vorgeschichte

1933 – der Weg zur Macht

Eine 5teilige Artikelserie aus der Antifa zu dem Buch 1933 – der Weg ins Dritte Reich von Ulrich Schneider, PapyRossa Verlag, 2022

Teil 1/5: Republik Demontiert

Mit dem Sturz der sozialdemokratischen Reichsregierung Müller und der Einsetzung des ersten Präsidialkabinetts unter Heinrich Brüning 1930 begann die Demontage des parlamentarischen Systems der Weimarer Republik. Als der Reichstag den Haushalt 1930 ablehnte, wurde der Haushalt per »Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen« erlassen. Anschließend löste Reichspräsident Paul von Hindenburg – durchaus im Rahmen der Verfassung – den Reichstag auf und ordnete für September 1930 Neuwahlen an. Das Ergebnis war eine massive Verschiebung zugunsten der NSDAP, die über 15 Prozent zulasten der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der Deutschen Volkspartei (DVP) hinzugewann und mit 107 Abgeordneten die zweitstärkste Reichstagsfraktion bildete. Zwar besaßen die Rechtsparteien nur knapp ein Drittel der Mandate, sie verkündeten jedoch lautstark einen Machtanspruch der »Nationalen Opposition«.

Während das Brüning-Präsidialkabinett zur Bewältigung der Wirtschaftskrise massive Sparmaßnahmen zulasten der arbeitenden Bevölkerung verkündete, zu denen Lohnabbau, Aufhebung der Tariflöhne, Kürzungen sozialer Hilfen gehörten, proklamierten die Rechtsparteien die Aufkündigung des Versailler Vertrages. Als Machtdemonstration versammelten sich am 11. Oktober 1931 in Bad Harzburg die sogenannte Nationale Opposition aus NSDAP, DNVP, der Militaristenvereinigung »Stahlhelm« und andere nationalistische Gruppen. Mit Aufmärschen der uniformierten Kampfverbände wurde zum Sturz von Reichskanzler Heinrich Brüning und der sozialdemokratischen Regierung in Preußen aufgerufen. Die »Hauptresolu-tion der Harzburger Tagung« verlangte die Einsetzung einer »wirklichen Nationalregierung«. Wie wenig sich die NSDAP jedoch dieser »Gemeinschaft« unterzuordnen gedachte, demonstrierte sie mit einem zweitägigen Marsch von angeblich 100.000 SA-Männern im benachbarten Braunschweig. Adolf Hitler unterstrich hiermit seinen Machtanspruch gegenüber den anderen Rechtsparteien und Gruppen. Auch die Reichspräsidentschaftswahlen vom März 1932 zeigten diesen Konflikt innerhalb des Rechtsblocks, als die NSDAP mit Hitler als Kandidat ihren politischen Führungsanspruch unterstrich.

Als Brüning Ende Mai 1932 unter dem Druck der Rechtsparteien zurücktrat, ernannte Reichspräsident von Hindenburg Franz von Papen zum Reichskanzler, der ein »Kabinett der Barone« bildete, das auch von der DNVP unterstützt wurde. Die NSDAP versprach, das Kabinett zu tolerieren, wenn im Gegenzug das Organisations- und Uniformverbot gegen die SA und SS aufgehoben werde. Am 17. Juni 1932 folgte Papen dieser Aufforderung. Gleichzeitig löste Hindenburg den Reichstag auf und setzte Neuwahlen für den 31. Juli an. Die Aufhebung des SS- und SA-Verbots führte zu massiven Auseinandersetzungen im Reichstagswahlkampf. Innerhalb eines Monats gab es 99 Tote und 1.125 Verletzte bei Auseinandersetzungen, die zumeist von Naziformationen gegen Anhänger der Arbeiterparteien provoziert wurden.

Eine der gewalttätigsten Aktionen war der »Altonaer Blutsonntag« vom 17. Juli 1932. Der Altonaer Polizeipräsident hatte einen Aufmarsch der SA durch Altona, das damals zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörte (es wurde erst 1937 durch das Groß-Hamburg-Gesetz nach Hamburg eingemeindet), genehmigt. Aus ganz Norddeutschland wurden 7.000 SA-Leute herangekarrt, um das »rote Altona« zu erobern. Bei Protesten gegen diesen Naziaufmarsch wurden 18 Personen erschossen, zwei SA-Leute und 16 protestierende Anwohner. Während die Nazipropaganda Kommunisten verantwortlich machte, weiß man heute gesichert, dass alle Opfer von Polizeikugeln tödlich getroffen wurden.

Dieser Vorfall wurde von der Reichsregierung unter Papen zum Vorwand genommen, um die amtierende preußische Regierung am 20. Juli 1932 durch eine Notverordnung abzusetzen und so innenpolitisch die starke sozialdemokratische Bastion in Preußen zu beseitigen, die seit der Landtagswahl vom 24. April 1932 nicht mehr über eine Mehrheit verfügte. Mit dem sogenannten Preußenschlag wurde die geschäftsführende preußische Regierung unter Otto Braun (SPD) abgesetzt und Franz von Papen zum »Reichskommissar für Preußen« ernannt. Innenminister wurde der Essener Oberbürgermeister Franz Bracht, der eng mit dem Industrieunternehmen Krupp verbunden war. Faktisch wurden damit die Rechte des Parlaments aufgehoben, die Landesregierung entmachtet und die Polizeigewalt durch die Reichsregierung übernommen.

Die KPD rief SPD und Gewerkschaften zum Generalstreik auf, ähnlich wie 1920 gegen den Kapp-Putsch in Berlin. Doch die SPD entschied sich nicht für politische Kampfmaßnahmen, sondern für eine Klage vor dem Staatsgerichtshof. Die Wähler sollten bei der Reichstagswahl am 31. Juli eine politische Antwort zugunsten der SPD geben. Für die Papen-Regierung war es eine Beruhigung, als der Nachrichtendienst am Abend des 20. Juli mitteilte, dass im Ruhrgebiet »vollkommene Ruhe herrsche«. Die Gewerkschaften hätten in ihrer Vorstandssitzung beschlossen, nicht den Generalstreik zu proklamieren, sondern sich erst nach den Wahlen erneut mit der Frage zu beschäftigen. Damit hatten SPD und Gewerkschaften vor diesem Rechtsbruch des Präsidialkabinetts kapituliert.

Der Weg ins »Dritte Reich« begann nicht am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, sondern lange vorher in der Weimarer Zeit, als mit dem Abbau sozialer und politischer Rechte die Voraussetzungen für eine faschistische Krisenlösung geschaffen wurden. In den folgenden fünf Ausgaben der antifa soll an einige dieser Markierungspunkte erinnert werden, Voraussetzungen zur Machteinsetzung und zur Machtetablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland.

Teil 2/5: Der Weg zur Macht

Als im Herbst 1932 der gesellschaftliche Widerstand der Arbeiterorganisationen und anderer demokratischer Kräfte gegen Papens „Kabinett der Barone“ und die Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitende Bevölkerung zu einer erneuten Regierungskrise führte, löste Hindenburg im Oktober 1932 den Reichstag auf und setzte für November 1932 Neuwahlen an. Das Ergebnis entsprach jedoch in keiner Weise den Vorstellungen der wirtschaftlich und politisch Mächtigen. Die NSDAP verlor zum ersten Mal über 1 Mio. Wählerstimmen und 15% der Mandate, wobei die völkisch-nationalistischen Parteien (DNVP und DVP) sich stabilisieren konnten. Dramatischer aus der Sicht der reaktionären Kräfte war jedoch die Tatsache, dass die KPD mit knapp 6 Mio. Wählerstimmen deutlich gestärkt aus diesen Wahlen hervorging.

Dieses Ergebnis veranlasste im November 1932 eine Gruppe von Industriellen und Bankern sowie Großagrariern sich in einer Eingabe an Hindenburg für die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler auszusprechen. In manchen Veröffentlichungen kann man lesen, es seien doch nur wenige Großunternehmer gewesen. Aber die Zusammensetzung der Gruppe war beeindruckend. Zu ihnen gehörte der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Aufsichtsratsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke Fritz Thyssen, der Direktor der Commerzbank Friedrich Reinhart, der auch Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer war, der Generaldirektor der Wintershall AG August Rosterg, der Kölner Bankier Kurt Freiherr von Schröder, der auch im Aufsichtsrat der I.G. Farben AG saß, sowie als Vertreter der Junker und Großagrarier Robert Graf von Keyserlingk-Cammerau, Joachim von Oppen und Kurt Gustav Ernst von Rohr-Manze.

Es war ein illustrer und gleichermaßen wirtschaftspolitisch einflussreicher Kreis, der sich mit folgender Erklärung zu Wort meldete:

Der Ausgang der Reichstagswahl vom 6. November d. J. hat gezeigt, dass das derzeitige Kabinett, dessen aufrechten Willen niemand im deutschen Volke bezweifelt, für den von ihm eingeschlagenen Weg keine ausreichende Stütze im deutschen Volke gefunden hat … Gegen das bisherige parlamentarische Parteiregime sind nicht nur die Deutschnationale Volkspartei und die ihr nahestehenden kleineren Gruppen, sondern auch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei grundsätzlich eingestellt …

Es ist klar, dass eine, des Öfteren wiederholte, Reichstagsauflösung mit sich häufenden, den Parteikampf immer weiter zuspitzenden Neuwahlen nicht nur einer politischen, sondern auch jeder wirtschaftlichen Beruhigung und Festigung entgegenwirken muss. …

Wir bekennen uns frei von jeder engen parteipolitischen Einstellung. Wir erkennen in der nationalen Bewegung, die durch unser Volk geht, den verheißungsvollen Beginn einer Zeit, die durch Überwindung des Klassengegensatzes die unerlässliche Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft erst schafft. Wir wissen, dass dieser Aufstieg noch viele Opfer erfordert. Wir glauben, dass diese Opfer nur dann willig gebracht werden können, wenn die größte Gruppe dieser nationalen Bewegung führend an der Regierung beteiligt wird.Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe wird die Schlacken und Fehler, die jeder Massenbewegung notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen

Büro des Reichspräsidenten, Abt. B/III, Bd. 47, Bl. 259/260

Mit dem Hinweis auf „Schlacken und Fehler“ reagierten die Vertreter einflussreicher Kapitalkreise auf die Bedenken Hindenburgs gegen den „kleinen Gefreiten“ Hitler und seine SA, deren Terror gegen die Arbeiterorganisationen man zwar  dankbar akzeptierte, deren martialisches Auftreten und insbesondere deren Ansprüche, das zukünftige „Volksheer“ darzustellen, aber bei der Reichswehr auf Bedenken stieß.

Anders als die Initiatoren der Eingabe erhofften, folgte Hindenburg in dieser Situation noch nicht dem Vorschlag aus der Wirtschaft. Er entschied sich zwar zur Ablösung von Franz von Papen und dessen „Kabinett der Barone“, aber seine Berater favorisierten stattdessen die direkte Einbindung der Reichswehr in Person des vormaligen Reichswehrministers General Kurt von Schleicher. Im Sinne von Hindenburgs Verständnis einer „Volksgemeinschaft“ strebte dieser eine „Querfront“ an – mit rechten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern sowie dem „linken“ Flügel der NSDAP um die Brüder Otto und Gregor Strasser, der gleichzeitig die SA repräsentierte, um seine autoritäre Führung zu stabilisieren. Schleichers Versuch scheiterte jedoch am Führungsanspruch Hitlers, der jegliche Koalition ohne ihn als Reichskanzler torpedierte. Als dieses Querfront-Konzept erkennbar nicht zum Tragen kam, forderte Hindenburg Schleicher Ende Januar 1933 zum Rücktritt auf.

Das war das politische Ende des ehemaligen Reichswehrministers, der sich 1933 ins Privatleben zurückzog. Der Hass der NSDAP-Führung verfolgte ihn aber weiterhin. Hitler ließ ihn am 30. Juni 1934 im Zuge des sogenannten „Röhm-Putsches“ ermorden.

Teil 3/5: Durch die Hinterzimmer an die Regierung

Schon im November 1932 hatten sich einflussreiche Fürsprecher aus Industrie, Handel und Banken für Adolf Hitler als Reichskanzler eingesetzt. Diese Kräfte beobachteten General Schleichers Bestrebungen eines monarchistisch-reaktionären Herrschaftsumbaus mit Hilfe einer „Querfront“-Strategie eher mit Skepsis, denn mit Wohlwollen. Während Reichskanzler Schleicher sich um die Einbindung von Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Teilen der faschistischen Kräfte bemühte, begannen andere Gruppen der politischen Elite, eine direkte Machtbeteiligung Adolf Hitlers auszuloten.

Eine zentrale Figur wurde Franz von Papen, der immer noch das Vertrauen von Reichspräsident Paul von Hindenburg besaß und seine Ablösung als Reichskanzler nach der Novemberwahl 1932 nicht akzeptieren konnte. Am 16. Dezember 1932 entwickelte er im Berliner Herrenklub sein Konzept eines „Neuen Staats“. Daraufhin bot ihm der Vorsitzende des Kölner Herrenklubs, der Bankier Kurt Freiherr von Schröder, Mitglied des „Keppler-Kreises“, nachdem er mit weiteren Vertretern der Wirtschaft gesprochen hatte, die Vermittlung eines Gesprächs mit Hitler an. Dieses Gespräch fand im Privathaus des Kölner Bankiers am 4. Januar 1933 statt. Anwesend waren Adolf Hitler, Franz von Papen, Rudolf Heß, Heinrich Himmler, Wilhelm Keppler und natürlich Kurt von Schröder. Diese Unterredung wird nicht zu Unrecht als „Geburtsstunde des Dritten Reiches“ bezeichnet. Hier erzielten die NSDAP und von Papen „ein prinzipielles Abkommen“ über Personal und Politik einer Regierung, getragen von NSDAP, DNVP und von Papen, die das Kabinett Schleicher ablösen sollte. Im Sinne von Hitlers Machtanspruch sollte dieser Reichskanzler werden, Franz von Papen Vizekanzler. Weitere Besprechungen wurden verabredet.

In den folgenden Tagen gab es zahlreiche Verhandlungen hinter den Kulissen. Wichtig war es, Hindenburg in eine solche Lösung einzubeziehen. Tatsächlich gab Hindenburg am 9. Januar 1933 seine Zustimmung zu Verhandlungen Papens (hinter dem Rücken des amtierenden Kanzlers) über eine Koalitionsregierung mit der NSDAP. Am 17. Januar 1933 fanden zum ersten Mal direkte Verhandlungen zwischen Hitler und Alfred Hugenberg, dem Vorsitzenden der DNVP statt. Hugenberg war zwar der Vorsitzende einer konkurrierenden Partei, aber über die „Ruhrlade“, mit der die zwölf einflussreichsten Ruhrindustriellen Gelder an politische Rechtsparteien verteilten, war er mit der NSDAP eng verbunden. Diese Kreise hofften, dass es Papen gelingen würde, die Nationalsozialisten zu „zähmen“ und in eine Koalition unter seiner Führung zu zwingen.

Der ehemalige Kronprinz Wilhelm, der Gutsherr Oldenburg-Januschau und General Werner von Blomberg, ein Regimentskamerad Hindenburgs, setzten sich beim Reichspräsidenten für diese Lösung ein. Der stand Mitte Januar 1933 durch den „Osthilfe-Skandal“ politisch unter Druck. Es gab massive Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe und Verwendung von Staatsgeldern für die ostelbischen Gutsbesitzer. Profiteuren waren auch der Reichspräsident bzw. sein Sohn Oskar von Hindenburg, der Besitzer des Guts Neudeck, das der Vater – um die Erbschaftssteuer zu vermeiden – ihm bereits 1927 übertragen hatte. Hindenburg befürchtete, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss seine persönliche Reputation beschädigen könnte.

Laut Staatssekretär Otto Meissner seien Vorbehalt von Oskar von Hindenburg anlässlich eines Treffens mit Adolf Hitler am 22. Januar 1933 im Hause des späteren Außenministers Joachim von Ribbentrop ausgeräumt worden. Hitler versprach, als Reichskanzler sofort für die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen einzutreten, so dass sich ein Untersuchungsausschuss zum „Osthilfe-Skandal“ damit erledigt habe.

Neben der Vizekanzlerschaft sollte Papen Reichskommissar für Preußen werden, Hermann Göring kommissarischer preußischer Innenminister. Der frühere thüringische NSDAP-Minister Wilhelm Frick war als Reichsinnenminister vorgesehen. Am 29. Januar verhandelte Papen mit Hugenberg und den Stahlhelm-Führern Seldte und Duesterberg über die Verteilung von Ministerposten. Selbst Mitglieder des Schleicher-Kabinetts stellten sich dem neuen Hitler-Papen-Hugenberg-Kabinett zur Verfügung.

Die vorgelegte Ministerliste war ganz im Sinne des Reichspräsidenten. Papen glaubte, mit den Ministern der anderen Rechtsparteien Hitler „einbinden“ zu können. Daraufhin stimmte Reichspräsident Hindenburg zu und ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler, Franz von Papen zum Vizekanzler und die von ihm vorgeschlagenen Minister.

Wenn man diesen Ablauf betrachtet, dann wird eines deutlich. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler war weder eine „Machtergreifung“, schon gar keine „nationale Revolution“, wie es später in der faschistischen Selbstdarstellung hieß, sondern eine klare „Machteinsetzung“ auf dem Wege eines neuen Präsidialkabinetts. Dieser Schritt erfolgte mit aktiver Unterstützung der nationalistischen und reaktionären Machtgruppen in Politik und Wirtschaft, die ein Interesse an der Umgestaltung der Weimarer Republik im Sinne eines autoritären antiparlamentarischen Herrschaftssystems hatten. Diese Machtgruppen hatten sich für die reaktionärste Variante bürgerlicher Herrschaft entschieden, die nun mit Hilfe der NSDAP umgesetzt werden sollte.

Teil 4/5: Reichstagsbrand und Ermächtigungsgesetz

Mit der Ernennung der Regierung Hitler-Hugenberg-von Papen am 30. Januar 1933 waren die Weichen für die Etablierung der faschistischen Herrschaft gestellt.

Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte mit den ersten Notverordnungen zum „Schutz des deutschen Volkes“ den Weg frei gemacht für Versammlungsverbote, Zeitungsverbote und für Verhaftungen politischer Gegner. Am 4. Februar wurden der Reichstag und die preußischen Kommunalparlamente aufgelöst und Neuwahlen für Anfang März 1933 angekündigt. Bis dahin agierte die Hitler-Regierung ohne parlamentarische Kontrolle.

Um dem politischen Terror gegen alle Nazigegner eine staatliche Legitimation zu geben, forderte Hermann Göring als Reichskommissar für das preußische Innenministerium am 17. Februar per Runderlass gegen „staatsfeindliche“ Gruppen „mit aller Strenge“, notfalls auch mit Schusswaffengebrauch vorzugehen. Fünf Tage später folgte Görings „Erlass über Einberufung und Verwendung von Hilfspolizei“. Mit diesem erhielten SA, SS und „Stahlhelm“ in Preußen Polizeifunktion, diese Kampftruppen wurden Teil der Exekutive. Sie durften jetzt „legal“ mit Razzien und gewalttätigen Übergriffen gegen Antifaschisten und ihre Organisationen vorgehen. Jeder SA-Mann war nun als Vertreter des neuen Regimes legitimiert. SA-Einheiten – ob mit Hilfspolizei-Armbinden oder ohne – nahmen Verhaftungen vor und drangsalierten ihre Gegner. Da die Polizei Aufgabe der Länder war, kam diese Anweisung nicht von Reichsinnenminister Frick. Sie wurde aber analog in allen Ländern des Reiches umgesetzt.

Diese Ausweitung des staatlichen Verfolgungsapparates in den ersten Wochen der Hitler-Regierung schuf Instrumentarien, die für einen massenhaften Terror und die Verfolgung politisch Andersdenkender eingesetzt werden konnten. Es fehlte hierfür nur noch der Anlass. Dieser wurde am Abend des 27. Februar 1933 mit der Brandstiftung im Berliner Reichstag geschaffen.

Welche Inszenierung und Intention hinter dem Ereignis standen, zeigte sich sofort. Noch während die Feuerwehr versuchte, den Brand zu löschen, verkündeten Göring und Hitler, dieser sei ein „kommunistisches Fanal“ zum Aufstand und der im Reichstag verhaftete Niederländer Marinus van der Lubbe habe den Brand „im Auftrag der Kommunisten“ gelegt.

Nachdem Rudolf Diels schon am Nachmittag des Tages die Polizeidienststellen angewiesen hatte, wegen angeblich bevorstehender Überfälle anlässlich der Reichstagswahl eine größere Zahl kommunistischer Funktionäre zu verhaften, begannen noch in der Nacht zum 28. Februar 1933 weitere Massenverhaftungen, basierend auf seit November 1932 aktualisierten Listen. Am folgenden Tag wurde das Verbot der Presse von KPD und SPD für 14 Tage ausgesprochen.

Hier ist nicht der Raum, die vielfältigen Behauptungen der Nazis im Zusammenhang mit dem Brand nachzuzeichnen und zu widerlegen. Dazu sei nur auf die beiden Braunbücher, die Antifaschisten im Exil im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrandprozess erstellt haben, verwiesen.

Noch in der Nacht zum 28. Februar erließ Reichspräsident Hindenburg eine weitere „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“ („Reichstagsbrandverordnung“), mit der grundlegende Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt wurden. „Es sind … Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“

Das war der endgültige Freibrief für Massenverhaftungen und politischen Terror gegen Arbeiterorganisationen und andere Antifaschisten. Die in den ersten Wochen entstandenen „wilden Haftstätten“ wurden seit Mitte März 1933 durch reguläre Konzentrationslager (u.a. Dachau und Oranienburg) ergänzt, über deren Aufbau sogar in der Tagespresse mit Fotos berichtet wurde.

Dass die für den 5. März angesetzten Reichstagswahlen unter diesen Voraussetzungen nicht als echter Ausdruck des politischen Willens der Wähler angesehen werden konnten, ist unstrittig. Aber das Resultat war anders als von der Hitler-Regierung erwartete: Obwohl die Arbeiterparteien bereits unter Ausnahmerecht gestellt waren, fast alle Wahlveranstaltungen verboten wurden, Kandidaten für den Reichstag verhaftet oder in die Illegalität gedrängt wurden, gaben immer noch über 14 Mio. Menschen ihre Stimme der KPD bzw. SPD, das war ein Stimmenanteil von über 30%. Das Ziel der Hitler-Regierung, bei dieser Wahl eine eigene Zweidrittel-Mehrheit zu erreichen, wurde deutlich verfehlt. Man schuf die gewünschte Mehrheit dadurch, dass die 81 Mandate der KPD annulliert wurden.

So vorbereitet, fand am 23. März 1933 die erste Sitzung des neugewählten Reichstags statt. Hitler betonte in der Regierungserklärung, der einzige Sinn dieser Sitzung sei, ein „Ermächtigungsgesetz“ zu verabschieden, mit dem faktisch alle Befugnisse des Parlaments an die Reichsregierung übergingen. Es sei ein „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Nur die 94 Abgeordneten der SPD-Fraktion votierten mit „Nein“. Alle anderen Parteien von Zentrum bis NSDAP stimmten für diese Selbstentmachtung des Parlaments.

Nun hatte die Hitler-Regierung auch parlamentarisch freie Hand.